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Ach wie schrecklich! Warum uns dieses Drama-Spiel so schadet | Gedanken zum richtigen Umgang mit schlimmen Nachrichten

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Das Ach wie schrecklich“ ist ständig präsent

 

Sie schla­gen die Zei­tung auf oder schau­en auf Ihre Smart­phone-News: Ist das zu glau­ben!! Hat der /​ Haben die doch tat­säch­lich schon wie­der….“! Und Mein Gott, so ein furcht­ba­res Unglück!“ Und wenn Sie Ihre Kol­le­gen oder Freun­de tref­fen gibt es bei­na­he jeden Tag wie­der schlim­me Nach­rich­ten zu besprechen.

Das Schreckliche lauert überall!

In einem hart umkämpf­ten Markt erre­gen schlech­te Nach­rich­ten leich­ter die Auf­merk­sam­keit der Leser und stei­gern die Auf­la­gen. Kon­struk­ti­ver Jour­na­lis­mus hat wirt­schaft­lich nach wie vor einen schwe­ren Stand und führt eher ein Nischendasein.

Doch woher kommt die­se Anzie­hungs­kraft für bad news‘?

Die Beschäftigung mit Gefahr war überlebensnotwendig

Was den­ken Sie, hat unse­re Ur-Vor­fah­ren über­le­ben las­sen: Acht­sam­keit auf den schö­nen Schmet­ter­ling am Weges­rand oder Wach­sam­keit dem Raub­tier gegenüber?

Den Blick auf poten­zi­el­le Gefah­ren zu len­ken, macht durch­aus Sinn. Auch Geschich­ten über schreck­li­che Ereig­nis­se kön­nen lehr­reich in dem Sin­ne sein, dass sie uns gefähr­li­chen Situa­tio­nen gegen­über sensibilisieren.

Zur Ein­schät­zung der Gefah­ren­la­ge ist in unse­rem Gehirn die Amyg­da­la, ein Teil des lim­bi­schen Sys­tems, zustän­dig. Aus den Sin­nes­wahr­neh­mun­gen wird hier blitz­schnell eine Ent­schei­dung getrof­fen – gefähr­lich oder unge­fähr­lich – und bei Bedarf die Kampf- oder Flucht­re­ak­ti­on ein­ge­lei­tet. Ent­schei­det die Amyg­da­la nach sta­tis­ti­scher Wahr­schein­lich­keit? Nein.

Rea­lis­ti­sche Ein­schät­zun­gen sind nicht die Sache unse­res Emo­ti­ons­zen­trums. Hier brau­chen wir unse­ren ana­ly­ti­schen Ver­stand, der sich infor­miert, reflek­tiert und sach­li­che Bezü­ge herstellt.

Schrecklich‘ löst eine intensive emotionale Reaktion aus

Auch wenn klar ist, dass wir selbst nicht bedroht sind, lösen Infor­ma­tio­nen über Unglü­cke und Ver­bre­chen eine star­ke emo­tio­na­le Reak­ti­on aus. Je mehr Details wir erfah­ren, des­to stär­ker, vor allem, wenn noch Bil­der gezeigt wer­den. Und: Je näher der Unglücks­ort liegt, des­to stär­ker ist unse­re emo­tio­na­le Betei­li­gung. Ein Bus­un­glück mit vie­len Toten in Paki­stan wird deut­lich distan­zier­ter wahr­ge­nom­men, als ein Bus­un­glück in Deutschland.

Auch Infor­ma­tio­nen, die nicht von Unglü­cken han­deln, aber stark mit unse­ren Wer­ten kol­li­die­ren, las­sen uns emo­tio­nal reagie­ren: Das ist unge­recht! Das ist total unfair!

Star­ke Emo­tio­nen zu emp­fin­den, ist für die meis­ten Men­schen attrak­tiv, auch wenn es der Gru­sel von schreck­lich‘ ist. Auf die Fra­ge, was denn dar­an so anzie­hen sein soll, ant­wor­te­te der Teil­neh­mer in einem Forum: Weil das Leben sonst arsch­lahm und lang­wei­lig wäre.“

Schrecklich‘ verbindet uns mit anderen Menschen

Sich mit ande­ren über ein schreck­li­ches The­ma aus­zu­tau­schen, kann sich zuerst ein­mal sehr gut anfüh­len. Wir reden mit Gleich­ge­sinn­ten und füh­len uns in unse­ren Gefüh­len ver­stan­den und zuge­hö­rig. Wir haben Men­schen in unse­rem Leben, die unse­re Sicht­wei­se und unse­re Wer­te teilen.

Der Vergleich mit Betroffenen kann positive Gefühle auslösen

Hören wir von einem nega­ti­ven Erleb­nis, das einem ande­ren Men­schen wider­fah­ren ist, kann das zu einer als ange­nehm erleb­ten Emo­ti­on füh­ren: Der Erleich­te­rung. Wie kommt das? Wir glei­chen in Gedan­ken unser Leben mit dem des Betrof­fe­nen ab und füh­len uns erleich­tert, dass uns die­ses schlim­me Ereig­nis nicht getrof­fen hat.

Eine Kli­en­tin hat mir ein­mal berich­tet, dass sie in Zei­ten, in denen sie sich sehr schlecht fühlt, ver­stärkt Schick­sals­ge­schich­ten‘ im Fern­se­hen kon­su­miert, bei denen den Betrof­fe­nen Schlech­tes pas­siert: Eine Aus­wan­de­rung oder die Selb­stän­dig­keit schei­tern, die Bezie­hung geht in die Brü­che oder der Betrof­fe­ne wird Opfer eines Betrugs. Das gab ihr immer wie­der das Gefühl, dass sie da Gott sei Dank!‘ doch noch bes­ser dran ist.

So weit, so ver­ständ­lich. Was aber bewirkt schreck­lich‘ in unse­rer Psyche?

Welche Folgen hat schrecklich‘ auf uns?

Viel schrecklich‘ stumpft ab

Je mehr schlim­me Nach­rich­ten wir zu einem The­ma auf­neh­men, des­to gerin­ger fällt die emo­tio­na­le Reak­ti­on aus – wir stump­fen ab.

Die ers­ten Bil­der von ertrin­ken­den Flücht­lin­gen im Mit­tel­meer waren für vie­le, mich ein­ge­schlos­sen, ein rich­ti­ger Schock. Ich konn­te das Gese­he­ne nicht fas­sen, ich war sprach­los, wütend, zu Trä­nen berührt. Als immer mehr Infor­ma­tio­nen und Bil­der dazu ver­öf­fent­licht wur­den, merk­te ich, wie mein lim­bi­sches Sys­tem sich lang­sam an die­sen Schre­cken gewöhn­te. Intel­lek­tu­ell war mei­ne Fas­sungs­lo­sig­keit, dass so etwas hier und jetzt und in Euro­pa geschieht, noch genau­so stark. Mei­ne emo­tio­na­le Reak­ti­on war aller­dings nicht mehr so hef­tig wie ganz zu Beginn. So wird der Schre­cken Teil des Alltags.

Um dann nicht gleich­gü­tig zu wer­den und sol­che Mel­dun­gen ein­fach als Teil des Hin­ter­grund­rau­schens‘ (so hat es tat­säch­lich jemand for­mu­liert) zu sehen, braucht es eine intel­lek­tu­el­le Aus­ein­an­der­set­zung mit dem The­ma. Was aller­dings deut­lich anstren­gen­der ist, als ein­fach den nächs­ten Auf­re­ger zu konsumieren.

Viel schrecklich‘ führt zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität

Wer heu­te die Nach­rich­ten ver­folgt und vie­le Dis­kus­sio­nen dazu bei Face­book & Co., kann schnell den Ein­druck gewin­nen, die Welt bestün­de nur mehr aus Mord, Krieg, Gewalt, Lug und Betrug. Je nach indi­vi­du­el­ler Prä­gung kann das dazu füh­ren, dass wir die Welt und auch unser eige­nes Umfeld als viel gefähr­li­cher und bedroh­li­cher wahr­neh­men, als sie tat­säch­lich ist.

Selek­ti­ve Wahrnehmung

Unse­re Psy­che hat eine sehr hohe Wach­sam­keit allen Infor­ma­tio­nen gegen­über, die sich als bedroh­lich erwei­sen könn­ten. Dabei unter­schei­det das lim­bi­sche Sys­tem nicht nach ech­ten Wahr­schein­lich­kei­ten, son­dern nach gefühl­ten‘. Habe ich Angst vor einem Ein­bruch in mei­nem Haus, neh­me ich selek­tiv alle Mel­dun­gen über Ein­brü­che deut­lich ver­stärkt wahr und über­schät­ze meist völ­lig die sta­tis­ti­sche Wahr­schein­lich­keit, selbst von einem Ein­bruch betrof­fen zu werden.

Je nach dem Grad der per­sön­li­chen Resi­li­enz, also der see­li­schen Sta­bi­li­tät, kann das dazu füh­ren, dass sich das Gefühl der Bedro­hung auf ganz unter­schied­li­che Lebens­be­rei­che aus­dehnt: Die per­sön­li­che Sicher­heit, die Sicher­heit des Arbeits­plat­zes, die künf­ti­ge wirt­schaft­li­che Lage, die Gesund­heit usw.

Das Gefühl der Bedro­hung macht sich oft fest an den The­men, die über einen län­ge­ren Zeit­raum stark in den Medi­en prä­sent sind. Ob deren Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit und ihre Aus­wir­kung auf mich per­sön­lich wirk­lich rele­vant sind, wird dabei viel zu wenig hinterfragt.

In die­sen wah­ren Wor­ten liegt auch mein Fazit, wie ich per­sön­lich mit dem täg­li­chen Dra­ma umge­he. Mir ist es wich­tig, gut infor­miert zu sein. Ergo kann ich mich dem Dra­ma, das unun­ter­bro­chen über Medi­en­ka­nä­le bei mir anlan­det, nicht kom­plett entziehen.

Was tue ich?

Den Kon­sum von Fern­seh­nach­rich­ten habe ich schon seit 10 Jah­ren kom­plett ein­ge­stellt. Sicher­lich gibt es klu­ge Bericht­erstat­tung und span­nen­de Doku­men­ta­tio­nen. In den nor­ma­len Nach­rich­ten­sen­dun­gen ist mir die Dosis von schreck­lich‘ in Ver­bin­dung mit Bil­dern und Fil­men ein­fach zu hoch. Statt des­sen lese ich sehr viel und hier gibt es durch­aus loh­nen­de Quel­len. Auch nach einem Jahr­zehnt der Abs­ti­nenz kann ich nicht fest­stel­len, dass ich wich­ti­ge Din­ge nicht mit­be­kom­me oder zu wich­ti­gen The­men schlecht infor­miert bin.

Ich rufe mir immer wie­der ins Bewusst­sein, dass jede Men­ge Krach der fal­len­den Bäu­me bei mir ankommt. Von den vie­len wach­sen­den Wäl­dern auf der Welt etwas mit­zu­be­kom­men, ist nicht so ein­fach. Ein Ent­wick­lungs­pro­jekt, das das Leben eines Dor­fes in Afri­ka ver­bes­sert hat, eine Fami­lie, der die Nach­barn aus einer Not­la­ge gehol­fen haben, … Hilfs­be­reit­schaft und Mit­ge­fühl sind welt­weit mit Sicher­heit stär­ker aus­ge­prägt, als ich es durch die Medi­en mit­be­kom­me. Was hilft? Mir die­sen Mecha­nis­mus immer wie­der bewusst­zu­ma­chen und die Medi­en­ka­nä­le kon­se­quent zu nut­zen, die auch dar­über berich­ten (sie­he auch hier Kon­struk­ti­ver Journalismus).

Marion Wandke
online@marion-wandke.de

"Ich bin mit Leib und Seele Entwicklungsbegleiterin von Menschen und Organisationen. Nur an der Oberfläche zu arbeiten ist nicht mein Ding, sondern ich wollte schon immer den tieferen Kern der Dinge verstehen. Analytische Herangehensweise mit Herz und Humor - so kann ich meine Arbeitsweise am besten beschreiben." Dipl.-Wirtschaftsinformatikerin (FH), langjährige Führungskraft und Managerin für Organisationsentwicklung und Projektmanagement, Business-Trainerin und Beraterin für Strategische Organisationsentwicklung und Changemanagement sowie zugelassene Heilpraktikerin für Psychotherapie.



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